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| Presseartikel
(Frankfurter Rundschau, 13.11.2001)
Thomas Pynchon und die
Raketen
Die Duisburger Filmwoche feiert den Dokumentarfilm und ihren 25.
Geburtstag Von Thomas Rothschild
Die Duisburger Filmwoche
befindet sich stets im Zwiespalt, einerseits den aktuellen Stand des deutschsprachigen
Dokumentarfilms möglichst repräsentativ vorführen, andererseits aber auch das
Fachpublikum - nicht zuletzt die Filmemacher selbst - mit Neuem zu versorgen.
Gleichwohl schreckt man nicht vor zahllosen bekannten, zum Teil sogar bereits
ausgewerteten Titeln zurück - eine Haltung, die angesichts gestiegener Aufführungsmöglichkeiten
für die lange vernachlässigte Filmgattung immer mehr zum Problem wird. Eine Nische
gegenüber dem Kinobetrieb bietet fraglos das Videoformat. Exakt die Hälfte der
26 vorgeführten Arbeiten gibt es nicht auf Zelluloid. So natürlich auch das kuriose
Special über Kochsendungen im Fernsehen: Gibt es wirklich keine Themen mehr aus
dem engeren Umkreis des Dokumentarfilms, die der Diskussion bedürften?
So
akademisch die Unterscheidung von Dokumentar-, Spiel- oder Experimentalfilm ist,
so bedeutsam erscheint ein klares Bewusstsein davon, was Film besser zu leisten
vermag als andere Medien. Michaela Moscouw ist eine österreichische Künstlerin,
die in der Cindy-Sherman-Nachfolge in immer neue Rollen schlüpft. Jörg Burgers
Film, der ihren Namen trägt, lässt jedoch weder eine eingehende Betrachtung der
Fotos noch eine theoretische Reflexion zu. Er erweist sich als Sekundärmedium,
das hinter den Möglichkeiten der aufgezeichneten Fotos und Kommentare zurückbleibt
und damit überflüssig ist. Es sei denn, man begnügte sich mit seiner propagierenden
Wirkung, die freilich selbst keine autonome Qualität besitzt.
Bevorzugter Gegenstand des Dokumentarfilms bleibt der Mensch. Wie
aber lassen sich über individuelle Schicksale abstrakte, immer
schwerer zu durchschauende Kräfte und Mechanismen - aktuell etwa
der Zusammenhang von Terrorismus und Globalisierung - vermitteln?
Vor dieser Aufgabe resignieren viele Dokumentaristen. Die meisten
vertrauen auf die Überzeugungskraft des Sichtbaren. So etwa,
in spartanischer Schlichtheit, Thomas Heise mit zwei Filmen, die er
Mitte der achtziger Jahre in Ost-Berlin gedreht hat, aber damals weder
fertig stellen noch vorführen konnte. So deprimierend die darin
gezeigten Zustände dem Zuschauer von heute scheinen mögen:
deren anheimelnde Schäbigkeit kann doch, wenn man sich nur Mühe
gibt, verständlich machen, warum Menschen, die in der DDR aufwuchsen,
sich nicht von westlicher Arroganz nehmen lassen wollen, woraus ihre
Geschichte und damit ihre Identität besteht. Explizit spricht
das, in einer ungewohnt kämpferischen Diktion, der Schweizer
Mathias Knauer in Bitterfeld, 1992 aus. Der teilnehmenden Beobachtung
steht der komplex montierte Filmessay gegenüber, der heterogenes
Material zu einem Thema zusammenträgt, wie das große Vorbild
Orson Welles in F for Fake. In Duisburg brillierten auf diesem
Gebiet Fosco und Donatello Dubini mit Thomas Pynchon - A Journey
into the Mind of P. sowie Robert Bramkamps überraschend verwandter
Film Prüfstand 7 zum Problemkreis der Rakete. Nützen
die Dubinis die Möglichkeiten des "split screen" der geteilten
Leinwand, so wuchert Bramkamp anarchisch mit inszenatorischen Elementen
und einem poetischen, oft asynchronen "voice over". In diesen beiden
Filmen finden künstlerischer und politischer Anspruch einen gemeinsamen
Nenner. Die Duisburger Filmwoche ist ein Kind der 68er-Bewegung. Sie
ist sich auch in ihrem 25. Jahr treu geblieben. Während anderswo
die nachgewachsene Generation den Forderungen der Politik und vor
allem der Wirtschaft zu einem großen Teil in vorauseilendem
Gehorsam gefügig ist, setzen die Festival- und die Filmemacher
von Duisburg auf so altmodische Werte wie Aufklärung, Gesellschaftskritik,
Parteinahme für die Benachteiligten.
Mit Dokumentarfilmen kann man, anders als an Universitäten oder in Rundfunkanstalten,
keine Karriere machen. Das stärkt das Rückgrat. Die Fronten verlaufen dabei, wie
auch die neueste Ausgabe zeigte, nicht zwischen den Geschlechtern verlaufen, sondern
zwischen den Angepassten und den Rebellen. Copyright © Frankfurter
Rundschau 2001 Erscheinungsdatum 13.11.2001
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