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Presseartikel (TAZ, 30.10.2001)
Der Glanz der Provinz
Sozioethnografische Materialsammlung und Prüfstand für
die Leinwand: Die 35. Hofer Filmtage zeigten, dass anspruchsvolle
Fernsehproduktionen durchaus ihr Kinopublikum finden könnten
Von Katja Nicodemus
Gerade nach Berlin-Wahlen steht der deutsch-deutsche Kampf der Kulturen
hoch im Diskurs, werden soziopolitische Fronten und das Fremde im
Eigenen befragt. Dass dieses Land aus
vielleicht noch entscheidenderen, von Wahlzetteln unabhängigen
Antagonismen besteht, wird einem jedoch immer wieder klar, wenn man
sich einmal im Jahr ins Gruppenexperiment der
deutschen Filmbranche begibt. Zu den Hofer Filmtagen, in die nordbayrische
Provinz, ins Land der Bocksbeutel und Rostbratwürstchen. Wo ein
fränkisches Derivat des Deutschen
gesprochen wird, das quasi ohne ts auskommt. Hier wurden Regisseure
wie Doris Dörrie oder Dom Dyckwer entdeckt. Hier wohnt man im
Gasthof Strauß in dunklen
Schrankwandzimmern, trinkt zur Schweinelende Bier und Schlehenschnaps
und blättert morgens vor dem Einschlafen im Katalog des Bayerischen
Erlebnistrachtenhauses Ebnet
(Copyright: "A Gwand vom Sepp"). Und weil in Hof alles ein
bisschen fränkisch-bayrisch-anders ist, bekommt auch der deutsche
Film, dem sich dieses Festival seit 35 Jahren
verschrieben hat, hier den Anstrich einer sozioethnografischen Materialsammlung.
Dreihundert Kilometer Luftlinie von Berlin entfernt wird die Bundespolitik
plötzlich zum musealen Zeichen, wenn im visionären Sciencefiction-Kurzfilm
"Space-Zoo" eine von der
bayrischen Regierung ins All geschickte Raumstation namens Stoiber
um die Erde schwebt. Und der Talmischick der neuen Mitte erfährt
seine ironische Brechung im glamourösen Titel
eines Films, der ganz schlicht die andere Seite der Vitrine sucht.
"Der Glanz von Berlin" von Judith Keil und Antje Kruska
ist ein Dokumentarfilm über drei Putzfrauen, die sich alle
einmal mehr vom Leben versprochen haben, als anderer Leute Wohnzimmer
zu saugen, und die trotzdem versuchen, mit sich ins Reine zu kommen.
Es geht nicht um plumpe Sozialkritik,
sondern um die Spannung zwischen einem durchaus als primitiv empfundenen
Beruf und dem privaten Ausgleich (Singen, Malen, Tanzen), es geht
nicht ums Putzen, sondern um das
Darübersprechen, um einen Prozess, in dessen Verlauf drei Frauen
aus völlig unterschiedlichen Milieus gemeinsam mit dem Zuschauer
die Koordinaten ihres Lebens erschließen. "Der
Glanz von Berlin" ist ein Autorenfilm, der seine Heldinnen zugleich
klar und mit großer Zärtlichkeit betrachtet, eine ethnografische
Exkursion in die nahe Fremde hinter gewissenhaft
polierten Glasscheiben. Immer wieder fungieren die Filmtage als eine
Art Leinwandprüfstand für solche anspruchsvollen Dokumentationen,
die bei ihren produzierenden Sendern meist
ein Mauerblümchendasein zwischen Quotendruck und mitternächtlichen
Sendeplätzen führen, aber durchaus ein Kinopublikum erreichen
können.
Es gab Jahre, da heulte in Hof durch jeden dritten Film ein Polizeiauto,
da rastete die Vision von Filmhochschulabsolventen bereits im ersten
Kurzfilm bei Thriller oder Komödie ein, und
über allem lag wie ein Albdruck die Werbepausendramaturgie von
Pro7 und Sat.1. Aus dieser Erfahrung heraus hat es eine gewisse Konsequenz,
wenn der Hofer Festivalchef, the one and
only Heinz Badewitz, bei der Eröffnung der Filmtage ein wenig
ungehalten gegen das Fernsehen anrumpelte. Dabei wusste sich Badewitz
auf der sicheren Seite, denn jenseits der zyklisch
wiederkehrenden Binnentrends (Geschichten vom Erwachsenwerden, Rückbesinnung
auf die eigene Sozialisation) war "Hof die 35." das Jahr
der fernsehresistenten
Fernsehproduktionen. So kann man sich gut vorstellen, dass Robert
Bramkamps extrem assoziativer Thomas-Pynchon-Film "Prüfstand
7", der die deutschen Raketenmythen von Fritz
Lang bis Peenemünde mit zum Teil entlegensten Motiven aus "Die
Enden der Parabel" verschaltet, während eine vamphafte Inga
Busch als Seele der V2-Rakete durch die Zeiten stöckelt,
durchaus den einen oder anderen Weinkrampf bei seinen ZDF-Redakteuren
ausgelöst hat.
In Olaf Kaisers ebenfalls vom ZDF koproduzierten Film "Drei Stern
Rot", bekommt die Geschichte der DDR die Struktur einer psychiatrischen
Anamnese. "Drei Stern Rot" war auch
das Codewort, mit dem eine Republikflucht benannt und per rote Leuchtrakete
angezeigt wurde. Der Film erzählt von einem jungen Mann, der
nach einem tätlichen Angriff in eine Anstalt
eingeliefert wird und dort einer Ärztin seinen Werdegang erzählt.
Eine Geschichte über hochfliegende Hoffnungen und künstlerische
Ambitionen, die in einem jahrelangen, gelangweilt
abgesessenen Armeedienst als Grenzer münden. Dabei verbindet
Kaiser die präzise Darstellung der ereignislosen Grenzroutine
mit dem paranoiden Wahn seines Helden, der sich vom
Prinzip Obrigkeit in Gestalt einer Figur namens Nattenklinger verfolgt
sieht: DDR-Geschichte als Borderline-Syndrom.
Natürlich gab es sie auch, die typischen Hof-Hypes, bei denen
die Branche einen Film zum Ereignis erklärt, der bei der Vorführung
aber kaum den Schlussapplaus übersteht: "Jeans" von
der Schauspielerin Nicolette Krebitz will ein ultracooler Chill-out-Film
über Berliner Clubgammler sein und reiht mit seinem penetranten
Kunstwillen doch nur die abgeschmacktesten
Signifikanten der Coolness aneinander: mit Sonnenbrille schlafen,
Sex zu dritt haben, im WMF Champagner auf Eis bestellen.
Den Tatbestand des aufgepfropften Lebensgefühls erfüllt
auch "Mein Bruder, der Vampir" von Sven Taddicken. Vordergründig
geht es um die erwachende Sexualität eines Behinderten,
der aber doch nur zum Maskottchen eines groß angelegten Bullerbüisierungsvorgangs
wird. Ein Bruder, der beim Sex ständig unterbrochen wird, eine
kleine Schwester auf der Suche
nach dem ersten Mal, ein bisschen niedlicher Inzest und ein knallbuntes
Pippi-Langstrumpf-Haus - angeblich konkurrieren bereits fünf
Verleiher darum, "Mein Bruder, der Vampir" ins
Kino zu bringen.
Es entbehrt nicht einer gewissen Absurdität, dass derart harmlose
Standardware den Kinostart bereits sicher hat, während wirkliche
Kinobilder im Flimmerkasten verschwinden. In seinem
Fernsehfilm "Toter Mann" widmet sich Christian Petzold seinen
Figuren mit der gleichen meditativen Konzentration wie in "Die
innere Sicherheit" und erzählt von einer geheimnisvollen
Neurotikerin, die sich am Mörder ihrer Schwester rächen
will. Es geht um einen Begriff von absoluter Liebe, der in Petzolds
Film zwischen Anbetung und perversem Destruktionstrieb
schwankt, und es ist die seltsame Sehnsucht seiner drei Hauptfiguren
(gespielt von Nina Hoss, André Hennicke und Sven Pippig), die
den glamourös unterkühlten Bildern von "Toter
Mann" eine ungeheure Spannung verleiht. Dafür würde
man gerne noch mal Eintritt zahlen.
taz Nr. 6587 vom 30.10.2001, Seite 16, 225 TAZ-Bericht KATJA NICODEMUS
Den Artikel finden Sie unter:
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Erscheinungsdatum 30.10.2001
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