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Presseartikel
(SPEX, No. 12, 2001)
Thomas Pynchon
Niemand filmt Gott
Von Wolfgang Frömberg
Was machen wir, wenn wir vor einem Rätsel stehen? Nicht jeder
wird sich für dessen Relevanz interessieren. Wir spalten uns
in Eingeweihte / Nichteingeweihte. Verschwörung und Gegenverschwörung.
1966 erscheint Thomas Pynchons Novelle.»The Crying of Lot 49«.
Die Protagonistin Oedipa Maas nimmt die Spur eines alternativen Kommunikationssystems
auf, dessen Symbol das gedämpfte Posthorn ist. Einmal auf der
Suche, entdeckt sie das Zeichen überall. Oder sucht das Zeichen
sie? Organisiert sich der Widerstand nur in ihrem Kopf (und wenn nicht
dort - wo soll er sich organisieren... X Sie kommt zu dem Schluss,
der kein Entschluss ist, es müsse »... eine von der gewöhnlichen
streng getrennte, schweigende Welt geben, die keiner vermuten würde
... «. Der Entschluss war bereits vorher gefasst worden: der
Fährte nachzugehen, die Zeichen zu verbinden.
Elfriede Jelinek, Co-Übersetzerin von Pynchons Roman »Gravity's
Rainbow« (1973), schreibt zu dessen Debüt »V«,
erschienen 1963: »... Für diesen Autor gibt es nur zwei
Möglichkeiten: Paranoia oder Anti-Paranoia ( ... ) Entweder alles
strahlt vom Zentrum weg, oder es gibt gar kein Zentrum ... «.
Was der irritierenden literarischen Sensation durch seinen Erstling
folgte, war noch irritierender. Der Hochgelobte verweigerte Interviews
und Fotoaufnahmen. Im faszinierenden Sog von Pynchons subversiver,
enzyklopädischer Schreibe, sowie seiner wunderlichen Auffassung
von PR hat sich eine Schar schwärmerischer Agenten verbündet,
um seine Romane zu dechiffrieren und jedes Indizienteilchen bzgl.
seiner körperlichen Existenz zum zerpuzzIeten Pynchon-Bild hinzuzufügen,
das skizzenhaft bleibt.
2001, Jahr der Verschwörungstheorien. Zwei deutsche DokumentarfilmProduktionen,
in denen Person und Werk von Thomas Pynchon verhandelt werden. Die
Gebrüder Dubini wandeln mit »A Journey into the mind of
P.« in den Fußstapfen von Pynchons nebulöser Biografie.
Die Schweizer mit Wahlheimat Köln lassen Zeitzeugen und Pynheads
zu Wort kommen. Sie unterlegen ihre Detektivarbeit mit dem 60er-Hits-Medley
aus dem Album »The Third Reich'n'Roll« der Residents.
Holzauge, sei wachsam! Ließen sich die Gesichtslosen strategisch
doch ebenso der Theory Of Obscurity zurechnen wie der Autor selbst,
dessen filmreife Versteckspielerei in den um ihn herum gestrickten
Legenden groteske und elektrisch rockende (Be-)Züge annimmt,
die gerne auch mal ins Lächerliche kippen - aber umso interessanter
und treffender werden, wenn sie das sind, was man von ihnen vermutet:
erstunken und erlogen.
Wer weiß... Menschen schleichen umher in düsteren Paralleluniversen,
so Parallel, dass sie deckungsgleich auf deinem liegen. Sie wühlen
in Mülltonnen wie die Filmemacher in den Köpfen derjenigen
wühlen, die in Pynchons Privatsphäre wühlen. Der Film
selbst deutet die Möglichkeit möglicher Verschwörungen
/Gegenverschwörungen jenseits von Gut und Böse an und steu
ert in fünf Akten seinem voyeuristischen Höhepunkt entgegen.
Natürlich hat auch diese Katastrophe einen doppelten Boden.
Eine doppelte Wand besitzt jener Ofen, der der deutschen V2-Rakete
als Antrieb diente.
V2: gespaltene Persönlichkeit. Hoffnung auf den Endsieg des NS-Staats,
Begründerin der modernen Raumfahrtabenteuer der einst alliierten
Supermächte im Kalten Krieg. Thomas Pynchon hat sie zur Heldin
von »Gravity's Rainbow« erkoren, deren Quasi-Antagonist
Slothrop Erektionen bekommt, wenn diese sich im parabelförmigen
Anflug auf London befindet.
Das Kühlsystem des Ofens erzeugt einen Alkoholschleier, hinter
dem Bianca geboren wird - sie ist der Geist der Rakete und Kunstfigur
in Robert Bramkamps »Prüfstand 7«. Bramkamps Absicht,
die Geschichte der Rakete filmisch aufzuarbeiten, traf sich mit dem
Interesse an Pynchons Kernwerk. Er schickt Bianca auf die investigative
Jagd nach dem historischen Eigenleben der V2, während sie gleichzeitig
den Spuren Slothrops folgt, ihrem Seelenverwandten. Der Regisseur
sucht den Teufel im Detail und hangelt sich an einer nie enden wollenden
Assoziationskette entlang, von Fritz Langs »Frau im Monde zum
geplanten »Space Park Bremen«, deren sich verdichtende
Bausteine den gefundenen Zeichen und Symbolen Sinn stiften. Inga Busch
als Bianca verkörpert (ein-)leuchtend das forschende, scheinbar
unerforschbare Medium zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Sie verbindet,
was nicht zu verbinden ist. Sie muss scheitern. Kein Grund aufzugeben.
Bramkamp lässt seine Heldin eine Vision entwickeln, die Pynchon
vielleicht nicht wagt, offen zu formulieren: Es muss die Möglichkeit
menschlicher Beziehungen bestehen, die nicht mechanisch funktionieren.
Beide Filme schließen gemeinsam einen wundersamen Kreis. Während
der Film der Dubinis mit dem Zitat der Anfangspassage von »Gravity's
Rainbow« beginnt, endet Bramkamps Raketenverschwörung mit
einer Robert Forster-Interpretation des Songs von der letzten Seite
des Romans. Den geflügelten Worten »No one films Pynchon«
sind die Flügel korrekt gestutzt worden.
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