Termine
Pressestimmen
- Filmdienst 12-2002
- Junge Welt v. 3.07.2002
- TIP 13-2002
- Berliner Morgenpost 27.06.2002
- ZITTY v. 27.06.-10.07.2002
- Berliner Zeitung v. 27.06.2002
- Tagesspiegel v. 27.06.2002
- Fr. Allgemeine v. 19.06.2002
- News
and Stories, SAT1
- SPEX
- Fr. Allgemeine v. 27.05.2002
- Jungle World v. 22.05.2002
- Fr. Rundschau v. 4.05.2002
- Filmdienst 02-2002
- TAZ vom 22.02.2002
- Fr. Rundschau v. 17.01.2002
- SPEX Dez. 2001
- Jungle World v. 12.12.2001
- FAZ v. 02.12.2001
- Fr. Rundschau v. 13.11.2001
- Junge Welt vom 8.11.2001
- Raumzeit
Nov. 2001
- TAZ vom 30.10.2001
- TAZ vom 21.07.2000
|
Presseartikel (Frankfurter Rundschau, 04.05.2002)
Das Geheimnis der Rakete
Another Götterdämmerung: Thomas
Pynchon und Deutschland
von Guido Graf
1929 hat Fritz Lang den Countdown erfunden, wie nebenbei. Nur wenn
er auf Null zählt, weiß das Publikum, wann die Rakete
losgeht. Zur Premiere seines aufwendigen und sehr im Geist der
Zeit liegenden Films Die Frau im Mond beauftragte Fritz Lang einen
der Pioniere der deutschen Raketenentwickler, Hermann Oberth, für
ihn eine echte Rakete zu starten. Damit beginnt der
Film. Am Ende seines Romans Gravity's Rainbow, zu deutsch Die Enden
der Parabel, kurz bevor die Rakete, die Goebbels aus dem technischen
Begriff "Aggregat 4" in "Vergeltungswaffe 2"
umgetauft hat, zu ihrem Zerstörungsflug in die Gegenwart ansetzt,
in das Los Angeles Anfang der siebziger Jahre, als der Roman erschien,
erzählt Thomas Pynchon auch eine kurze
Geschichte des Countdowns. Eine Geschichte der Apokalypse, wie sie
die Kabbala erzählt: Die Reise durch die zehn Sphären,
die zu den Zahlen eins bis zehn gehören, führt in den
Abgrund.
Zugleich aber sind die Sphären untereinander durch Wege verbunden,
die den Buchstaben des Hebräischen Alphabets entsprechen: ein
alles mit- und durchbuchstabierender Text des Lebens und des Todes:
Eine Paranoia der Machtlosigkeit, ein Angstspiegel, der, so Pynchon
im Vorwort zu einer Sammlung seiner frühen Erzählungen
von Anfang der sechziger Jahre, seine
Generation geprägt hat. "Ein Heulen kommt über den
Himmel." Und eben nur bedingt ist die Rakete damit gemeint,
eine völlig neuartige Waffe: keine Bombe, kein Flugzeug. Das
"Gerät" wird
vom "Ofen" angetrieben: so die Sprachregelung der Beteiligten.
Vier Tonnen Alkohol und vier Tonnen flüssiger Sauerstoff werden
in nur sechzig Sekunden verbrannt. Der Gasstrahl bringt die
Rakete bis auf vierfache Schallgeschwindigkeit. Nach Brennschluss,
dem höchsten Punkt ihrer Flugbahn, fliegt die Rakete in einer
parabelförmigen ballistischen Kurve weiter bis in ihr Ziel.
"Ein Heulen kommt über den Himmel." So beginnt Pynchons
Roman Die Enden der Parabel. Er erzählt die Geschichte der
Rakete. 1973 ist das Buch erschienen, sieben Jahre nach Die Versteigerung
von No. 49. Begonnen mit der Arbeit an Die Enden der Parabel hat
Pynchon, der am 8. Mai fünfundsechzig Jahre alt wird, allerdings
schon gleich nach Abschluss seines Debütromans V von 1963.
Am 10. November 1944 meldet Associated Press den Angriff deutscher
V2-Raketen auf London. Ein Mann, der sich bei einer solchen Explosion
weniger als fünfzig Meter entfernt befand, sagte: "Ich
hörte keinerlei Geräusch vor der Explosion - dann dachte
ich, es sei das Ende der Welt."
Fünf Wochen später setzt Pynchons Roman ein und zitiert
sich mit dem Heulen am Himmel Rilkes Schrei und die Ordnung der
Engel herbei. Die Rakete ist ein Engel des Todes. Ihre Entwickler
und nationalsozialistischen Propagandisten berauschen sich an dem
Versprechen absoluter Transzendenz. Die Rakete überwindet die
Schwerkraft - doch nur bis Brennschluss. Dann fällt sie wieder
in die dichteren Luftschichten der Atmosphäre und bringt, worum
es Hitler eigentlich ging, Zerstörung nach London und Antwerpen.
Die Geschichte der Rakete in Deutschland, wie sie Pynchons Roman
reflektiert, hat der Regisseur Robert Bramkamp zum Anlass für
seinen Film Prüfstand 7 genommen. Bramkamp
begibt sich in einer Mischung aus Dokumentation und Spielfilm auf
die Suche nach dem Geheimnis der Rakete. Drehs fanden statt in Peenemünde
auf Usedom, in Nordhausen, in Antwerpen und in England, wo kürzlich
eine der letzten noch existierenden V2-Raketen erstmals nicht restauriert,
also mit dicker Farbe übermalt worden ist, so dass man nichts
mehr erkennen kann, sondern präzise nach archäologischen
Gesichtspunkten konserviert worden ist. Dabei wurden Beschriftungen
entdeckt, Nummern und auch kleine, rätselhafte Stempel, Signaturen
von Zwangsarbeitern. Diese versteckte Produktionsgeschichte der
Rakete - tausende KZ-Häftlinge, die sie gebaut haben, sind
tot - kommt aus dem Bauch der Rakete wieder heraus. Die Stempel
sind die letzte Spur. Der Geist der Rakete lebt zwischen den Bildern,
die wir uns von ihr machen, die sie uns macht.
Die Raketenbegeisterung im Deutschland der 20er Jahre war groß.
Es gab Romane, Filme, private Vereine, Zeitschriften, vor allem
sehr populäre Veranstaltungen mit spektakulären Vorführungen
früher Raketenexperimente. Dann übernahm das Militär.
Die Privatforscher in den diversen Raketen-Vereinen mussten ihre
Arbeit, die Fachzeitschrift Die Rakete ihr Erscheinen
einstellen. 1932 richtet der neunzehnjährige Student Wernher
von Braun unter dem Kommando des Hauptmanns im Heereswaffenamt Walter
Dornberger eine Versuchsstelle für
Flüssigkeitsraketen in Kummersdorf, südlich von Berlin,
ein. Bei Pynchon erscheint Dornberger als Major Weißmann oder
auch Blicero, der über Leben und vor allem den Tod herrscht,
"ein
brandneuer Typ von Militär, halb Geschäftsmann und halb
Wissenschaftler". Von 1936 an entstand in Peenemünde an
der Nordwestspitze der Insel Usedom das größte Rüstungszentrum
Deutschlands. Peenemünde wird zu einer geheimen Stadt für
15.000 Menschen: Ingenieure, Zwangsarbeiter, KZ-Häftlinge.
In seinem Roman zerlegt Pynchon, wenn auch nicht restlos, das Bild
der Rakete in seine verschiedenen Funktionen. Faszination, technische
Präzision, Teufelswerk. Ein rabiater Technologiesprung am Ende
des Zweiten Weltkriegs, zehn Jahre vor der Zeit. Die Technik selbst
wird autonom. Dem Bild der Technik entspricht im Roman der perspektivische
Bau. Jede der mehreren hundert Figuren, die auftauchen und wieder
verschwinden, steht potentiell mit jeder anderen in Verbindung.
Eine große Zerstreuung und auch eine Ordnung. Die Parabel,
die "schlackenlos gereinigte Latenz am Himmel", eine Paranoia,
ist die Ordnung des Lebens, deren Verknüpfungen und Abhängigkeiten
kein Ende kennen. Die Parabel markiert eine Grenze zwischen zwei
verschiedenen Ordnungen der Dinge. Ihr Scheitelpunkt ist der Ort
der äußersten Freiheit, ein Chaos der Möglichkeiten.
Das ist auch der Augenblick vor der Zerstörung. Für dieses
Bild verwendet Pynchon einen Begriff aus der Infinitesimalrechnung:
delta-t. Gemeint ist ein Wert, der unendlich klein wird und doch
niemals Null erreicht. Das delta-t geht der Vernichtung von Leben
und Zeit unmittelbar voraus.
Die Signatur des Wandels als Zerstörung, ein Moment der Verdichtung,
der immer wieder, wie in einer dauernden Verzögerung das Buch
durchzieht. In dem Moment soll alles aufgehoben sein, zwei Welten
zugleich. Die eine ist geprägt von Kontinuität, Kausalität,
Ordnung und Kontrolle. Im Roman stehen dafür die IG Farben
oder die Heeresversuchsanstalt. Die Gegenwelt der Diskontinuität,
der Wandlung oder der Auflösung verkörpert nicht zuletzt
der Roman selbst, der gegen Ende immer mehr in Fragmente zerfällt.
Alles scheint mit Bedeutung aufgeladen, doch die Paranoia ist auch
nur ein Begriff für die Aufgabe der machtlosen Opfer des Versuchs
derer, die glaubten, dieses Leben mit aller Gewalt transzendieren
zu können, in den Spuren der Parabel zu lesen. Sie lesen sich
gegenseitig und erkennen sich als unlesbar, so viele Konturen, scharf
und
genau: wer sich in diesem Dickicht als Führer erweist, wird
die Macht haben, alle und alles zu zerstören.
Dass Pynchon Deutschland von den frühen Erzählungen bis
zu dem letzten Roman Mason & Dixon als Schauplatz oder Referenzebene
wählt, hat er mit zahlreichen anderen Schriftstellern wie Walter
Abish, Carlos Fuentes, Michel Tournier oder Kurt Vonnegut gemeinsam.
Gerüchten zufolge soll auch Pynchons nächster Roman in
Deutschland spielen, im Göttingen des 18. Jahrhunderts. Für
Pynchon allerdings dient Deutschland nicht allein als Kulisse oder
historisches Reservoir. Er findet hier auch einen symbolischen und
einen literarischen Raum, der strukturelle Paradoxien von Vergangenheit
und Gegenwart umfasst. Was Pynchon vor allem in Die Enden der Parabel
tatsächlich zerlegt, ist nichts weniger als ein Grundmuster
deutscher Ideologie. Eine erst noch zu schaffende höhere Kultur
kämpft gegen zu diesem Zweck zu vernachlässigende zivilisatorische
Grundwerte.
Für die Rakete als dem modernen Symbol der absoluten Transgression
muss man bereit sein, den Preis der Zerstörung zu zahlen. Tod
und Transzendenz sind der Urstoff für Bliceros Welt.
Miklos Thanatz, sein Gefolgsmann, der natürlich nicht aus Zufall
den Tod - Thanatos - im Namen trägt, und Greta Erdmann, eine
paranoide Pornodarstellerin, berichten von einer Reise durch ein
symbolisch verwandeltes, verdichtetes Deutschland, von Blicero verkörpert
in einer Aura aus Autorität und Rätsel, maliziös
erregt, nie wirklich einzuschätzen, von einem mystischen Todeswahn
fasziniert, doch tatsächlich nie außer Kontrolle. Das
Irrationale muss rational verwaltet werden. Für Thanatz ist
die Rakete ein Opferaltar, etwas, das seine Verklärung schon
in sich trägt.
Der Chemiker Franz Pökler, den Pynchon an der Rakete mitbauen
lässt, lässt sich in seiner infantilen Begeisterung vom
Raketenwahn vereinnahmen. Naivität, Passivität und Manipulation
greifen bei ihm ineinander. Nach der Trennung von seiner Frau Leni
verstärkt sich der Zerfall seiner Persönlichkeit durch
arrangierte Besuche seiner Tochter Ilse bei ihm in Peenemünde.
Einmal im Jahr wird sie ihm zugeführt und wieder entzogen.
Pökler wird abhängig gehalten. Bald gelingt es ihm nicht
mehr, seine Tochter als ein und dieselbe zu identifizieren, bis
ihn vom Inzest nichts mehr abhält. Für irgendetwas muss
das gut sein, ahnt er, als er 1943 dem englischen Luftangriff auf
Peenemünde entgeht. Pökler sieht, was geschieht, und kann
doch nicht reagieren, er hält die Wahrheit in den Händen,
doch mit den Sinnen kann er sie nicht fassen. Pökler wird nach
Nordhausen versetzt, er weiß alles über die Zwangsarbeiter,
er kennt ihre Augen, die ausgemergelten Körper, weiß
alles über Ilse und scheint doch wie in einem Vakuum.
Für Pynchon fügen sich, was Wernher von Braun nach dem
Krieg immer weit von sich gewiesen hat, High-Tech und Holocaust
nahtlos zusammen. "Auslöschung kennt die Natur nicht,
sie kennt
nur die Verwandlung": von Brauns Satz entspricht zum einen,
natürlich, dem ersten Hauptsatz der Thermodynamik. Für
einen Naturwissenschaftler eine Banalität. Im Kontext einer
Produktion,
die Vernichtung durch Arbeit zum Prinzip erhob, erhält der
Satz allerdings noch eine andere, unfreiwillig zynische Bedeutung.
20.000 Häftlingen kostete die Produktion von 6000 Raketen im
Berg Kohnstein bei Nordhausen das Leben. Nördlich der Stadt
entsteht 1943 die größte unterirdische Fabrik der Welt.
Ihre
Arbeitskräfte bezieht sie aus dem vorgelagerten KZ Mittelbau-Dora.
Mit bloßen Händen und mit Schaufeln mussten die Kammern
des umfangreichen Stollensystems von den Häftlingen
gegraben werden. Zwölfstundenschichten, mörderisches Arbeitstempo,
mangelnde Ernährung, hohe Luftfeuchtigkeit, dichter Gesteinsstaub
und giftige Dämpfe. Im Winter 1943/44 starben mehr Häftlinge
als neue mit den Transporten aus Buchenwald hinzukamen. Das von
1944 an ständig erweiterte Barackenlager versorgte nicht nur
die V2-Produktion, sondern mit etlichen Außenlagern, die sich
über den gesamten Südharz ausbreiteten, Rüstungsunternehmen
in der ganzen Region. Die Mittelwerke waren die Fiktion eines Rüstungszentrums,
für das der planmäßig kalkulierte Tod und damit
das Vergeuden der Arbeitskraft von KZ-Häftlingen in Kauf genommen
wurde. Hier hat sich das System selbst das Grab geschaufelt. Eine
inszenierte Götterdämmerung, der geplante Untergang der, wie Himmler
zuletzt noch phantasierte, " neuen Höhlenmenschen".
Solange in Die Enden der Parabel Franz Pökler noch eine Aufgabe
hat für die Rakete, gelingt es ihm nicht, zwischen seiner Tätigkeit
und dem Schicksal seiner Tochter im KZ eine Verbindung herzustellen.
Die Blindheit seiner Pflicht hilft ihm, wie Pynchon schreibt, sich
nicht "aufzuschließen" für den Schmerz, den
er hätte empfinden sollen. Erst als der Krieg vorüber
ist, lässt Pynchon seinen Franz Pökler das Lager Dora
betreten. Es ist das einzige Mal in diesem großen Roman, dass
eine Figur sich nicht in Passivität und Paranoia ergibt. Sonst
lässt Pynchons Kalkül der erzählerischen Genauigkeit
kaum Raum für Gefühle. Pökler sucht im Lager seine
Tochter. Beim Anblick der Zustände im Lager muss er sich übergeben.
Was er sieht, wird ihn verändern. Dora ist ein Grab und zugleich
Geburtstätte der Raumfahrt, der Rakete. "Jenseits der
simplen Erektion aus Stahl ist sie ein ganzes System, abgewonnen
einem weiblichen Dunkel." Vielleicht meint Pylonen nur die
Mutter Erde. Diesseits der Ebene der Ur-Symbole jedoch findet sich mit Mittelbau-Dora am südlichen Rand des
Harzes ein höchst realer Ort. Alle Zerstörungspotentiale
erscheinen verdichtet in der Rakete. Die Zerstörungsmaschinerie
ist den Interessen von Mächten ausgeliefert, die um ihrer selbst
willen bereit sind, jede Ordnung der Dinge in Frage zu stellen.
Copyright © Frankfurter Rundschau 2002
|