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Presseartikel (Frankfurter Allgemeine, 27.05.2002)
Abgesang im Feuerofen
Der Geist der Rakete: Der Film "Prüfstand7" von Robert
Bramkamp sucht die neuen Enden der Parabel
von Bert Rebhandl
Wie man in die Rakete hineinruft, so tönt es heraus: "Hallo",
grüßt Bianca in den Hohlkörper. "Hier ist nichts
drin", bekommt sie zur
Antwort. Der Feuerofen ist ausgebaut, an der Außenhaut des
Museumsstücks gibt es Spuren von Rost. Leer und antriebslos
steht die Rakete im Park von Peenemünde. Touristen ziehen daran
vorbei, nur Bianca will es genauer wissen. Sie ist nicht weniger
als "der Geist der Rakete", eine Gestalt der Fiktion,
die zu Beginn von Robert Bramkamps Film "Prüfstand7"
dem Äther entsteigt und sich unter die Menschen mischt. Bianca
will das Geheimnis der Rakete lösen. Seit Thomas Pynchons Roman
"Die Enden der Parabel" ist die Rakete das Geheimnis des
zwanzigsten Jahrhunderts. Es geht also um viel. Eigentlich um alles.
In Pynchons Buch taucht Bianca nur kurz auf. Sie verhilft dem Romanhelden
Slothrope zu einer geschlechtlichen Erfahrung, die
schlechthin mystisch zu nennen ist: "Alles ist kurz davor,
zu kommen, ganz unglaublich zu kommen, und er ist hilflos eingefangen
hier in dieser explodierenden Bemächtigung." Die Wege
von Slothrope und Bianca trennen sich bald wieder, ihre Begegnung
ist aber wohl auch der Zeugungsakt für Robert Bramkamps Idee.
Mit "Prüfstand7" bemächtigt sich der Professor
für Filmregie an der Hochschule für Film und Fernsehen
in Potsdam-Babelsberg der Rakete. Er holt die Waffe, die von deutschen
Ingenieuren während der nationalsozialistischen Herrschaft
als letzte Hoffnung gegen die Niederlage im zweiten Weltkrieg entwickelt
wurde, endgültig in das Feld des Symbolischen.
"Prüfstand7" ist auch ein essayistischer Dokumentarfilm
über die V 2, über ihre Vorläufer und Nachfahren
und über ihre Geschwister in der Fiktion. In erster Linie ist
"Prüfstand7" aber selbst eine Fiktion. Pynchons Roman
wird darin als ein Freibrief gelesen, den parabolischen Weg der
V 2 durch die Geschichte bis an jene Punkte zu verfolgen, an denen
die Spekulation an sich selbst erstickt. Die Rakete ist für
Bramkamp ein spezifisch deutscher Traum, der mit den Bildern aus
Fritz Langs "Frau im Mond" in den zwanziger Jahren zum
ersten Mal weithin manifest wird. Die Wissenschaftskolonie in Peenemünde
auf Usedom trägt Züge einer "isola bella", die
aber auf die Todespolitik der SS gebaut ist. Nach dem Krieg war
die Rakete wichtigste Kriegsbeute der Vereinigten Staaten wie die
Wissenschaftler, die sie entwickelt hatten, an ihrer Spitze Wernher
von Braun.
In "Prüfstand7" gibt es zwei entscheidende Szenen
mit Wernher von Braun: Die eine ist dokumentarisch und zeigt die
Tischkarten zu einem Bankett, mit dem die Wissenschaftler im Krieg
zusammen mit den Wärtern des angeschlossenen Konzentrationslagers
eine Ritterkreuzverleihung feierten. Auf diesen Karten sind zu jedem
Namen kleine Zeichnungen zu sehen, die den Träger charakterisieren
sollten: Bei Wernher von Braun wird auf seinen Traum von der Sonnenenergie
angespielt, bei seinem Tischnachbarn aber sind ganz deutlich die
Häftlinge zu sehen, die beim Bau der Raketen eingesetzt wurden
und dabei häufig zu Tode kamen. "Es kann nicht sein, daß
man voneinander nichts gewußt hatte", erläutert
ein Museumskurator diese Bilder.
Bei Bramkamp ist es aber so, als wüßten die dokumentarischen
Bilder nichts von jenen anderen, in denen er Wernher von Braun,
gespielt von Peter Lohmeyer, in das Zentrum eines grotesken Selbstversuchs
stellt: Von Braun richtet die Rakete auf sich selbst aus, reist
in den Osten und wartet auf den Einschlag. Das Experiment gelingt,
die Rakete trifft nahezu zielgenau, aber sie verschont ihren Schöpfer,
der mit einer verletzten Hand überlebt.
So wie Pynchon in seinem Roman viel Tatsachenmaterial verarbeitet,
benutzt Bramkamp die historischen Umstände als
Ausgangspunkte für einen Schelmenroman, der jedoch in Bianca
(Inga Busch) eine Protagonistin hat, die mit ihren raunenden Fragen
unfreiwillig komisch wirkt. Den verschwörungstheoretischen
Komplex, den Pynchon generiert hat, durchmißt Bramkamp nach
Vorschrift, ja, er "verfilmt" sogar, angeblich mit Einverständnis
des Autors, einige Passagen aus "Gravity's Rainbow".
Die Low-Budget-Ästhetik von "Prüfstand7" weckt
Erinnerungen an das Welttheaterkino von Hans-Jürgen Syberberg
und an die
frühen Schlingensief-Filme. Am nächsten steht Bramkamp
jedoch den Dokumentarfiktionen von Alexander Kluge, allerdings ohne
daß er jemals dessen synthetische Kraft und intellektuelle
Präzision erlangen würde. "Prüfstand7"
begibt sich zu tief in die Kultur des Obskuren, die sich unter den
Anhängern von Pynchon entwickelt hat, um noch eine relevante
Deutung der Rakete zu entwickeln.
Bramkamp spannt die Enden seiner Parabel zu weit. Aus dem Schatten
des Romans aber tritt er nie heraus.
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