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Presseartikel
(Frankfurter Rundschau, 07.01.2002)
Philosoph der Lässigkeit
Klaus Lemkes Comeback und andere Entdeckungen beim "Ersten
Internationalen Filmfestival Frankfurt"
Von Rainer Knepperges
In mancherlei Hinsicht ist Klaus Lemkes einziges Interesse das,
was davor passiert: Vor Drehbeginn, vor der Kamera, vor allem Endgültigen.
Das ist die einfachste Erklärung, warum der
vergangene Ruhm und zwanzig Jahre ohne Erfolg, den Mann so wenig
tangieren; die Erklärung aber gleichzeitig auch, wieso Running
Out of Cool so herrlich geglückt ist. Auch ohne fertige
Kopie erlebte der Film nun seine Premiere auf dem Ersten Internationalen
Filmfestival Frankfurt: Ein konzentriertes Alterswerk, getarnt als
atemloser Debütfilm, dessen Schöpfer im Vorspann ohne
Namensnennung sein Gesicht hinter einer Piratenflagge versteckt.
Und der Raubzug in den eigenen Gewässern, den Straßen
Schwabings, birgt als funkelnden Schatz ein Ensemble begnadeter
Darsteller.
Eine 35mm Kamera zu klauen, ist für den Jungen aus Hamburg
(Maxi Treu) ein Kinderspiel. Aber die Kellnerin (Marlene Morreis)
und die Stripperin (Claudia Grimm) sind nicht leicht rumzukriegen
zum Filmemachen. Es sind Frauen, die für Schwärmereien
ungern die starke Position aufs Spiel setzen, die sie beim Sex innehaben.
Kein anderer Spielfilm über das Kino hat je so viel Enthusiasmus
hergezeigt, ohne das geringste Pathos aufkommen lassen. Lemke schuldet
dieses Vermögen seinem Vorbild Howard Hawks: Dessen Taktik,
jeden mit jedem kämpfen zu lassen, mit albernen Worten und
geklauten Sprüchen, bis klar ist, dass es tatsächlich
um Ernstes geht, um den heiligen Moment, wenn sich zwei von einander
hinreißen lassen. Dass anwesende Dritte und Vierte dabei nicht
stören, gar förderlich sind, verträgt sich gut mit
dem Wesen der filmischen Arbeit. Dazwischen drängen darf sich
allerdings kein pompöser Aufwand an künstlerischen Mitteln,
Lemke ist ein strenger Philosoph der Lässigkeit.
Die schmucklosen Bilder des Kameramanns Rüdiger Meichsner sind
der robuste Stoff für schnelles Erzählen. Es mag irgendwie
altmodisch sein, wie wenig Arbeit man diesem Film anmerkt. "Aber
wer sagt uns," schrieb Godard vor 40 Jahren, "dass dieses
alte Kino, wenn es nicht das von heute ist, nicht das von morgen
sein wird?" Will man die Frage nach Trends und Tendenzen, ohne
ein müdes Vielleicht beantworten, dann muss man nur fühlen,
wie ein Film das Publikum, seine unbestechlichen Kritiker, packt
und glücklich macht. Absurderweise stand die Premiere im Schatten
eines noch jüngeren, dreiviertelstündigen Vorfilms - ebenfalls
von Lemke: Never go to Goa, ein berauschter Urlaubsfilmessay über
die Liebe am Ende der Ferien. Er ließ die Leute im stickig
ausverkauften Saal tatsächlich vor Freude jauchzen. Solange
die Türme der Stadt vom Januarnebel keusch verschleiert waren
und das noch unvertraute Geld leicht wie im Urlaub für Kaffee
und Zigaretten durch die Finger schlüpfte, mochte man sich
gerne unterhalten lassen von einem so sympathischen Missgeschick
wie Henry Jagloms überkandidelt romantischem Deja vu. Oder
ehrlich verblüfft sein von Shinji Imaokas Sexfilm Seifuku de
daite, der in 60 Minuten mehr Wahnwitz und Wahrheit besitzt als
die französischen Provokationen der letzten Jahre. Es waren
die großen neuen Filme von Lehner oder Zulawski, von Suzuki
oder
Linklater, allesamt extravagante Unternehmungen, deren sicher nicht
zufällig von Toten bevölkerten Geschichten, von penetranter
filmischer Opulenz tödlich zerdehnt, die Frage aufwarfen: Sollen
wir nicht lieber einen Kaffee trinken? Woran lag es, dass mit zunehmender
Dauer des Festivals die Überlegenheit der Dokumentarfilme über
die Spielfilme so deutlich vor Augen trat? Das Interesse für
das Danach, für Konsequenzen und Kontinuitäten, wird zur
Zeit - wie vielleicht ohnehin - vom Dokumentarfilm besser und schöner
vertreten: Von Peter Nestler und Harmut Bitomsky, von Klaus Wildenhahn
und Claude Lanzmann, deren neueste Arbeiten über Flucht und
Krieg, über Abschied und Rache, das reiche Festivalprogramm
versammelte.
Zwischen diesen schon legendären Dokumentaristen ist Robert
Bramkamp ein gut platzierter Feuerwerkskörper. In Prüfstand
7 schafft er es spielerisch, eine deutsche Erfindung, die Rakete,
als verwirrend finsteres Kunstwerk zu verstehen, das interessanter
ist als seine nationalsozialistischen Auftraggeber. Nächstes
Jahr werden in Bremen 12 Millionen Menschen
erwartet, die im Zentrum eines neuen Parks zu einer Rakete hochblicken.
Der neue Film von Frederick Wiseman beginnt und endet mit der Skyline
von Tampa, Florida, die nicht viel anders aussieht als die von Frankfurt.
Aber Domestic Violence zeigt das weite Abseits
von Macht und Reichtum; darin ein Heim für in der Ehe misshandelte
Frauen und deren Kinder. Für die drei Stunden des Films ist
dies der Ort langsam vermittelter Erfahrung und schnell revidierter
Urteile.
Seit Jahrzehnten widmet Wiseman seine geduldigen filmischen Beobachtungen
nicht Individuen, sondern deren Umgang miteinander in einer Institution.
Es geht ihm dabei - wie vor ihm nur John Ford - nicht um Mitleid
mit dem Einzelnen, sondern um das Glück und die Verwundbarkeit
der Gemeinschaft, keineswegs symbolisch, denn es geht tatsächlich
um die Rettung der Schwachen und um die Schwäche der Retter.
In einer verstörenden Sequenz steht ein Polizist ratlos zwischen
Eheleuten. Der Mann hat Hilfe gerufen, weil er fürchtet seine
Frau zu schlagen, und die Frau will nicht von ihm weg, nur noch
einschlafen. Es ist zuletzt nur Verletzung oder Trennung denkbar,
aber man spürt, dass davor so etwas wie Liebe war. Vor der
Gewalt.
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